Montag, 12. August 2013

Wie vergrault man Stammkunden?

Seit vielen Jahren arbeite ich, genau wie viele Kolleginnen und Kollegen, mit dem Programm Web-to-Date von Data Becker. Dabei handelt es sich um ein Desktop basiertes CMS, mit dem man relativ schnell ansprechende Webseiten erstellen kann.
 
Die bisherige Lizenzpolitik war sehr einfach: Man erwarb das Programm und konnte so viele Projekte bearbeiten, wie man wollte. Erstellte man Projekte für Kunden, erwarben diese eben auch das Programm bzw. eine Lizenz davon.
 
Und neben Einzellizenzen gab es auch eine Work & Travel-Edition sowie eine Multiuser-Version. Außerdem noch den "großen Bruder" Shop-to-Date, mit dem sich Onlineshops realisieren lassen.
 
So weit, so gut.
 
Vor wenigen Tagen gab Data Becker nun nach einer Testphase den Nachfolger zum Verkauf frei: Web-to-Date NG (Next Generation).
 
Im Gegensatz zu den Vorgängern handelt es sich bei dieser Version nun um ein webbasiertes System, für das man nur einen recht schlanken Client auf dem Rechner installieren muss. Die NG-Version ermöglicht es also, von jedem Rechner der Welt aus (in der Theorie) seine Projekte zu bearbeiten.
 
So weit immer noch gut.

Hier zunächst die wesentlichen Vorteile von Web-to-Date NG:



Im Gegensatz zu den Vorgängern muss man das Projekt bei Änderungen nicht jedes Mal neu erzeugen, sondern Änderungen werden sofort übernommen - bei großen Projekten ein nicht zu unterschätzender Vorteil, denn bei den Vorgängern konnte es da schon mal 3 Stunden den Rechner blockieren, wenn man ein paar Änderungen vornahm.
 
Es gibt nun einen sehr komfortablen Design-Editor, mit dem auch Laien eines der mitgelieferten Designs recht schnell und ohne große Vorkenntnisse in fast allen Belangen modifizieren können, das war vorher sehr viel schwieriger.
 
Web-to-Date NG unterstützt nun UTF-8 - so sind endlich auch Seiten z. B. in asiatischen Sprachen realisierbar, das ging früher nicht. Auch der Bug, dass die Angabe m² (für Makler zwingend!) nicht richtig realisierbar war, ist nun endlich behoben.
 
Erstes Fazit nach einigen Tests mit der Vorabversion: Sehr positiv. 

Das böse Erwachen:



Vor wenigen Tagen kam dann die heißersehnte Freigabe der Vollversion und die Freude in der Web-to-Date-Gemeinde war zunächst sehr groß. Bis dann erste Blicke in die Preisliste und die Lizenzbedingungen erfolgten:

Im Gegensatz zu früher ist web-to-Date NG in der "Basislizenz" auf 3 Projekte beschränkt - für einige Webmaster/Firmen mag das ausreichend sein, für viele jedoch nicht, denn der Haken liegt mal wieder im Kleingedruckten: Auch Testprojekte oder Subdomains "verbrauchen" jeweils eines der drei Projekte. Da machte zum ersten Mal in den Foren die neue Wortschöpfung Web-to-Date NoGo die Runde.

Aber es kommt noch dicker: Wer für Kunden Webseiten entwickeln/betreuen will, darf dies nicht mehr mit der Basislizenz, hier wird eine "Enterprise-Lizenz" fällig. Die Preise hierfür gibt es nur auf Anfrage und die Lizenz ist ebenfalls zunächst auf 3 Projekte limitiert, jedes weitere Projekt kostet extra. Diese Enterprise-Version ist deutlich teurer als die Basislizenz, obwohl sie inhaltlich identisch ist. Sie gibt einem halt nur das Recht, "für andere" zu arbeiten. Wirklich ein NoGo.

Doch das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange: Für die Vorgängerversionen gab es ein kostenpflichtiges Plugin namens "Mehrsprachigkeit". Eine solche Funktionalität ist zurzeit in der neuen Version (noch) nicht vorhanden. Dies konnte man mit der Testversion aber nicht konkret feststellen, da es dort nicht die Möglichkeit gab, eigene Projekte anzulegen. Was bedeutet das? Das bedeutet z. B. für ein Unternehmen, welches eine 6-sprachige Website betreiben will, dass sich dies bei den derzeitigen Funktionalitäten nur durch den Erwerb von 6 Projektlizenzen (mithin 2 Basislizenzen) realisieren lässt. Der "Spaß" kostet dann mal eben ca. 1.000 Euro - solange keine Agentur die Site betreuen soll, dann wird es nochmal erheblich kostspieliger.

Weitere Kritikpunkte, die da aber schon kaum noch eine Rolle spielen: Ein Import alter Projekte ist nur per Copy & Paste möglich (bei Websites mit mehreren tausend Seiten ein wahnsinniger Aufwand), die Anforderungen an den Webserver sind recht hoch, so dass eigentlich jeder, der sich NG kaufen will, zunächst seinen Provider kontaktieren sollte, um abzufragen, ob dies dort realisierbar ist. Sonst darf man sich womöglich trotz langer Laufzeit auch noch einen neuen Hoster suchen.

Denn selbstverständlich gibt es für dieses per Download vertriebene Produkt laut den AGB von Data Becker nach der Installation kein Rückgaberecht. Man kauft also quasi die Katze im Sack, denn die so wichtige "Project Central" kann man in der Testversion nicht einsehen/ausprobieren.

Weitere Kritikpunkte:



Einige Funktionalitäten der Vorgängerversionen wurden abgeschafft, weil Data Becker einfach der Meinung ist, die seien nicht "zeitgemäß" - warum überlässt man nicht dem Kunden die Entscheidung, ob er sie nutzt oder nicht?

"Selbstverständlichkeiten", wie ein individueller Title für Einzelseiten sind noch nicht vorhanden, das soll nun nachgebessert werden. Die Databecker-Moderatoren in deren Forum sind aber der (ihnen gerne überlassenen Meinung), ein individueller Title sei aus SEO-Sicht zu vernachlässigen. Was nachweislich falsch ist, denn immerhin bringt ein individueller Title im Zweifelsfall erheblich mehr Besucher bei gleicher Platzierung in den Serps.

Und im Jahre 2013 ein kostenpflichtige CMS raus zu bringen und direkt anzukündigen, dass ein Plugin, mit dem man eigene PHP-Scripts einbinden kann noch in der Entwicklung sei und auf jeden Fall kostenpflichtig sein wird, zeigt mir eine gewisse "Neuland-Mentalität" der Marketingabteilung von Databecker.

Mein Fazit zu Web-to-Date NG:



In vielen Bereichen eine echte Weiterentwicklung der Vorgänger, jedoch müssen noch zahlreiche Hausaufgaben gemacht werden, also eigentlich noch nicht marktreif.

Die fehlende Möglichkeit, mehrsprachige Sites anzulegen (ohne mehrere Lizenzen zu benötigen), eine "echte" Vollversion zunächst einmal zu testen (z. B. ob der Webspace das mitmacht) sowie die Preis-/Lizenzpolitik machen es für mich aber zu einem echten NoGo.

Und damit stehe ich nicht alleine, mir sind zahlreiche Web-to-Date-Agenturen bekannt (die bisher auch Vermarktungspartner waren), die da nicht mehr mitmachen und sich nun nach Alternativen umsehen.

Schade, ein gutes Produkt wird hier in meinen Augen vom Marketing in die Bedeutungslosigkeit getrieben.

Wenigstens kann man seine alte Version weiter benutzen - mal schauen, wann da der Support eingestellt wird.